Liebe Leserin, Lieber Leser,
Halten Sie sich raus oder hängen Sie sich rein?
immer wieder erleben wir Situationen in denen uns nahestehende Menschen sich in eine Situation begeben, die wir als Außenstehende als „kritisch“ betrachten. Doch wie gehen wir, in einer solchen Situation vor?
Vor wenigen Tagen erreichte mich der Brief eines Lesers unseres regelmäßig erscheinenden Coachingbriefs „Frage der Woche“, der diese Frage aufwirft. Damit Sie das Dilemma des Lesers besser verstehen, habe ich Ihnen auszugsweise Teile des Briefs hier abgedruckt, so dass Sie den Sachverhalt besser nach voll ziehen können:
„Wann oder wie lange involviere ich mich in die Probleme anderer und mache sie damit in einem gewissen Maße auch zu meinen Problemen? Diese Frage stelle ich mir in letzter Zeit immer öfter, denn ich sehe deutlich mehr hausgemachte und offensichtliche Probleme, als jemals zuvor. Vielleicht bin ich auch nur etwas erfahrener (soll nicht altklug wirken) und gehe mit offeneren Augen durch die Welt. Diese Frage kann ich mir aber nicht selbst beantworten. Lasse ich einen Freund in eine für ihn schlechte Situation rennen, ohne ihn ernsthaft auf die Gefahr hinzuweisen und was mache ich, wenn er meinen gutgemeinten Rat ignoriert? Ich bin mir nicht sicher in dieser Situation, jedoch belastet sie mich und ich suche hier den Rat von Ihnen, Herr Assis.“
Zuerst einmal möchte ich mich bei dem Schreiber des Briefs bedanken, dass ich den Teil des Briefs veröffentlichen durfte und ihn damit auch Ihnen, meinen liebe n Leserinnen und Leser, zugänglich machen darf, so dass Sie von dieser Frage der Woche profitieren können.
Gleichzeitig möchte ich Sie dazu ermuntern mir ebenfalls persönliche Fragen per Brief oder Email zu stellen. Weiterhin möchte ich Sie alle dazu auffordern mehr aktiv an den Gesprächen und Diskussionen zu den einzelnen Fragend er Woche teil zu nehmen. Sie haben die Möglichkeit unter www.assis.de/artikel/ Ihren persönlichen Kommentar zu posten und die Kommentare anderer Leser zu lesen. Wir haben diesen Service nun offiziell eingerichtet und frei geschalten, um einen stärkeren Austausch mit Ihnen zu ermöglichen. Nutzen Sie diese Gelegenheit. Auch finden Sie hier öfters mal Artikel und/oder Gedanken von mir, die ich nicht im Rahmen der „Frage der Woche“ publiziere.
Nun aber zur Frage der Woche zurück. Die Hauptproblematik liegt darin, dass wir (gerade bei guten Freunden und/oder liebgewonnenen Kollegen/Mitarbeitern) versuchen, Menschen vor Problemen, Schwierigkeiten und/oder Hindernissen zu warnen, da wir vielleicht die Situation selbst in unserem Leben erlebt haben und feststellen konnten, wie schwierig es war sie zu meistern. Aus dieser Erfahrung heraus versuchen wir nun dem anderen Menschen, aus unserer Sicht, wertvolle Hinweise zu geben, so dass dieser nicht die gleiche Erfahrung noch einmal machen muss, und er aus unserer (bereits gemachten) Erfahrung lernen und profitieren kann. Und genau hier liegt das Problem.
Den meisten Menschen ist es nicht bewusst, dass sie nicht alle Fehler selber machen müssen um zu lernen und das sie aus den gemachten Fehlern anderer lernen können. Viele Menschen denken dabei, dass ein gut gemeinter Ratschlag letzten Endes nichts anderes ist, als ein Versuch sie von ihrem eigenen Glück und ihrem eigenen Erleben abhalten zu wollen. Und egal wie gut Sie es meinen, so werden Sie immer wieder auf Menschen treffen, die sich noch nicht so weit entwickelt haben (in ihrem Denken und ihrer Persönlichkeit), und die Ihren Rat einfach nicht annehmen können. Egal wie sehr Sie es versuchen und egal wie sehr diese Menschen ihn vielleicht sogar annehmen wollen würden – sie können es einfach nicht.
Deshalb ist es wichtig zu verstehen, dass wir andere nicht immer davor bewahren können eigene Erfahrungen zu machen – auch wenn wir genau wissen, dass diese Erfahrungen vielleicht sogar sehr schmerzhaft sein können für diese Menschen.
Sie können einem Menschen einen Rat geben und ihm Ihre Hilfe anbieten, aber Sie müssen sich selbst davor schützen, sich zu sehr in die Probleme des Anderen hinein ziehen zu lassen. Denn letzten Endes können Sie ihm nicht wirklich helfen, wenn er sich nicht wirklich helfen lassen will. Und Hilfe, lieber Herr Weber, kann leider manchmal auch genau das Gegenteil von dem bewirken, was Sie in Wirklichkeit erreichen wollen.
Denn Hilfe kann den Anderen, auch in eine Art Abhängigkeit zu Ihnen bringen, anstatt ihm zu verhelfen dieses Problem selbst zu lösen und in der Lage zu sein in Zukunft solche Probleme zu vermeiden. In China gibt es ein altes Sprichwort, welches Sinngemäß lautet:
„Wenn Du einen hungrigen Mann siehst, dann kannst Du ihm einen Fisch schenken und er wird einen Tag zu Essen haben. Oder Du kannst ihm beibringen zu Fischen und er wird ein Leben lang zu Essen haben.“
Doch das Fischen zu lernen, beinhaltet eben auch manchmal erfolglos vom Fischen zurück zu kehren und seine Fähigkeiten verfeinern zu lernen um mehr Erfolg beim nächsten Mal zu haben. Und manchmal ist es vollkommen egal wie gut man Fischen kann, dann fängt man trotzdem nichts.
Es ist eine schwere Erfahrung und eine wichtige Lehre, die Sie in Ihrer Entwicklung derzeit selbst machen und lernen sollten. Das weiß ich, weil ich diese Erfahrung vor einigen Jahren selbst mit einem mir sehr nahestehenden Menschen machen durfte. Es nutzt einfach nichts, wenn wir anderen vor jeder schwierigen Erfahrung im Leben bewahren wollen und wir helfen diesen Menschen auch nicht, wenn wir die Probleme für sie lösen, denn dadurch machen wir sie zum einen unselbstständiger und zum anderen machen wir sie abhängiger von uns selbst.
Mein Mentor hat mir einst einmal zu diesem Thema beigebracht (und Sie können mir glauben, dass diese Erfahrung und Lehre eine der schwierigsten und härtesten Lernlektionen meines Lebens war):
„Wenn Du Menschen helfen willst sich zu entwickeln, dann musst Du verstehen dass Du Ihnen nur dann helfen kannst, wenn Du Sie (bildlich gesprochen) zur Klippe führst und sie dann über die Klippe schubst. Manche von ihnen werden fliegen und mache von ihnen werden fallen. Und beides ist richtig und wichtig.“
Es sind harte Worte, jedoch beinhalten sie eine Menge Lebensweisheit. Denn Sie können den Menschen um Sie herum in solchen Situationen nur dann helfen, wenn Sie sie fordern und künstlich in eine Drucksituation bringen.
Nur dann können diese Menschen wirklich erkennen, ob sie in der Lage sind ein Problem zu meistern oder nicht. Und nur dann sind diese Menschen in der Lage sich zu entwickeln um das Problem, welches sich ihnen stellt, zu meistern. Die Führung von Menschen, und wir führen immer andere Menschen auch wenn wir keine Mitarbeiter haben, besteht immer im FÖRDERN und im FORDERN von anderen.
Und denken Sie immer daran: Sie sollten sich dabei auch selbst schützen. Sowohl Emotional, als auch Real.
Ihr Coach
Nuno F. Assis