Liebe Leserin, Lieber Leser,
Die Stadt erwacht gerade zu Leben. Ich sitze in einem Café und beobachte all die Menschen unterwegs: Menschen, die mit einem Coffee-to-Go in der Hand zu ihren Arbeitsplätzen hasten. Menschen, ganz in ihre Gedanken versunken, auf dem Weg zu ihrem Tagwerk. Menschen, die ihre Tasche geschultert auf dem Weg zum Fitnessstudio sind. Menschen, die schlecht geschlafen haben und denen die letzte Nacht noch ins Gesicht geschrieben steht.
LKW halten, Fahrer springen aus dem Führerhaus, öffnen Ladeklappen und beginnen, Ware für all die vielen Geschäfte auszuladen. Wie riesige Ungeheuer, die ihren Schlund öffnen, um sich zu ergeben. Paket um Paket, Ladung um Ladung wird die Ware in die umliegenden Geschäfte verteilt. Langsam erwacht die Stadt zum Leben. Der Verkehr nimmt merklich zu. In den Geschäften gehen die Lichter an und die Türen beginnen sich langsam zu öffnen. Im Café werden nun auch die letzten Stühle von den Tischen genommen und die Kellner verteilen Speisekarten, Salz und Pfefferstreuer, Zuckerdosen und Aschenbecher auf den Tischen.
Eine Stadt erwacht zum Leben. Und wenn man bedenkt, dass sich dieses Ritual jeden Tag in unzähligen Städten auf der Welt wiederholt, dann merkt man wie sehr die tägliche Routine doch unser Leben bestimmt. Und gleichzeitig stellt man fest, wie klein in unserem Denken doch unsere eigene Welt ist. Wieso?
Wie oft denken Sie darüber nach, wie wohl der Morgen in einer anderen Stadt, einem anderen Land oder auf einem anderen Kontinent beginnt?
Wie oft laufen Sie früh morgens durch Ihre Stadt, vorbei an Menschen, ohne wirklich Kenntnis von ihnen zu nehmen?
Wie oft folgen Sie Ihren täglichen Routinen ohne darüber nachzudenken, ob dies wirklich das ist, was Sie für Ihre Zukunft wollen?
Wenn man beobachtet wie eine Stadt erwacht und wie alles beginnt, dem normalen Trott zu folgen, stellt man immer wieder fest, wie klein unsere Realität doch oft ist. Und mir fällt auf, dass wir uns oft viel zu wichtig nehmen. Die Welt dreht sich jeden Tag weiter. Mit oder ohne uns.
Und genau in dieser Erkenntnis liegt eine große Chance für uns selbst, und auch für unsere Zukunft.
Jeden Tag haben wir nämlich aufs Neue die Chance, einen Beitrag zu leisten. Um diese Welt, in der wir leben, für uns selbst und auch für andere zu einem schöneren und besseren Platz zu machen.
Wenn wir beobachten wie eine Stadt erwacht und wie schnell sich das Leben verändern kann, dann haben wir die Chance festzustellen, dass jeder Tag aufs Neue uns neue Wahlmöglichkeiten gibt.
Ist Ihnen bewusst, dass – egal wie gut oder wie schlecht es Ihnen gerade geht – zwei Drittel der Weltbevölkerung sofort mit Ihnen tauschen würde, wenn sie könnten?
Ja, Sie lesen richtig. Selbst wenn es Ihnen sehr sehr sehr schlecht geht!
Selbstverständlich ist mir bewusst, dass es manchen von Ihnen nicht gut geht. Viele von Ihnen verdienen ungefähr das gleiche oder manchmal weniger als vor der Einführung des Euros. Und Sie müssen mit gestiegenen Kosten in allen Bereichen Ihres Lebens kämpfen. Manche von Ihnen haben vielleicht finanzielle Sorgen. Andere wiederum vielleicht gesundheitliche Sorgen. Wiederum andere haben Sorgen in ihren Familien oder Beziehungen oder mit Freunden.
Und wenn wir Sorgen in unserem Leben haben, dann ist es so, als ob wir mit einem Hammer auf unsere linke Hand schlagen. Der Schmerz ist so stark, dass er unsere volle Aufmerksamkeit auf sich zieht und es nützt uns in dem Moment herzlich wenig zu hören, dass wir ja noch eine schmerzfreie rechte Hand haben.
Egal wie viele Sorgen und Nöte Sie haben: haben Sie sich einmal gefragt wie es wohl sein muss, wenn man morgens aufwacht und nicht weiß ob man den Abend noch erlebt? Oder wie es wohl sein mag, wenn man morgens aufwacht und nicht weiß, wie man selbst essen kann heute oder wovon man seine Kinder ernähren soll an diesem Tag? Oder wie es wohl ist, wenn man sein Essen auf einer Müllkippe zusammensuchen muss?
Eine Stadt erwacht…
Wir leben in unserer westlichen Welt und für viele von uns ist das Elend dieser Welt so weit weg, dass wir es nicht einmal sehen wenn wir durch unsere eigene Stadt laufen. Wie häufig laufen Sie im Laufe eines Tages an einem Obdachlosen oder Bettler vorbei, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen?
Ist er ein schlechterer Mensch als Sie, nur weil er in seinem Leben andere Entscheidungen getroffen hat oder weil das Leben ihn so hart getroffen und niedergeschlagen hat, dass er beschlossen hat „er kann nicht mehr aufstehen“?
Unser Leben ist viel mehr als die Summe unserer eigenen Sorgen. Es ist viel mehr als die Summe unserer Fehler. Es ist viel mehr als all die Kleinigkeiten, über die wir uns Tag täglich aufregen. Es ist viel mehr als uns oft bewusst ist.
Die meisten von uns sind frei. Obwohl viele von uns sich in ihrem eigenen Leben ihr eigenes Gefängnis geschaffen haben. Ein Gefängnis, dessen Türen weit offen stehen. Türen, die nicht erkannt werden und die nicht genutzt werden um aus dem eigenen Gefängnis auszubrechen, weil wir mit dem Rücken zu den Türen stehen. Und weil viele von uns zu beschäftigt sind, ihre „Lebenszelle“ komfortabel zu gestalten, anstatt sich zu trauen, einmal mit Abstand auf das eigenen Leben zu schauen.
Ich selbst habe mich jahrelang sehr wohl gefühlt in meinem eigenen „Lebensgefängnis“ und ich habe es mir dort sehr gemütlich gemacht. Auch hatte ich eine Vielzahl guter Gründe, mich in meiner eigenen Zelle wohlzufühlen. Und ich hatte eine Unmenge an Erklärungsversuchen und Entschuldigungen, um mein Verhalten zu rechtfertigen. Ich dachte immer ich müsste das vor anderen tun, doch letztlich rechtfertigte ich es immer vor mir selbst.
Auch ich begriff lange nicht, dass die Tür zu meiner Lebensgefängniszelle weit offen steht und ich jederzeit eine andere Entscheidung treffen und mein Leben verändern kann. Meine Gewohnheiten und meine eigenen Routinen prägten mich und schlossen mich gleichzeitig ein. Ein Gefängnis ohne Wärter und ohne Schlösser an den Türen – und doch so schwer, daraus auszubrechen.
Und wenn wir es genau betrachten, dann stellen wir fest: einerseits ist unser Leben gar nicht so wichtig, wie wir manchmal glauben – und auf der anderen Seite ist es viel zu wichtig, um es in einem Gefängnis zu verbringen.
In meiner Geburtsstadt gibt es einen wunderschönen alten Park mit herrlichen Baumbeständen und einer Vielzahl von Pflanzen und Blumen. Die Natur entfaltet hier Jahr um Jahr ihre volle Pracht. Dieser Park liegt in der Nähe einer Universität und es ist seit vielen Jahrzehnten Tradition, dass die frisch verliebten Studenten und Studentinnen sich in diesem Park treffen. Sie schreiben in die vielen Felswände ihre Liebeserklärungen an ihre Partner und auch an ihr Leben.
Wenn Sie durch diesen Park wandern, dann können Sie lesen wie Menschen aus den unterschiedlichsten Jahrzehnten ihre Liebe bekunden. Ihre Liebe zum Partner, aber auch zum Leben. Sie können dort die Schönheit der Gefühle und die Schönheit der Sprache lesen. Sie lesen, wie sich die Sprache im Laufe der Jahrzehnte verändert hat. Und Sie können dort auch all die Sehnsüchte lesen, die diese Menschen mit ihrem Leben und mit ihrer Zukunft verbinden. Sie lesen dort die Ziele, die all diese Menschen in jungen Jahren hatten. Die Sehnsüchte nach der Schönheit des Lebens.
Doch beinahe noch interessanter an diesem Park ist, dass viele dieser jungen Menschen im Laufe ihres Lebens zurückgekehrt sind zu der Stätte ihrer Sehnsüchte und neben ihre Erklärungen von damals ihre aktuellen Ansichten gemeißelt haben. Zum Teil in wunderschönen Marmortafeln. Und wenn Sie aufmerksam all diese Dinge lesen, so stellen Sie fest, dass die meisten ihre Sehnsüchte begruben und sich freiwillig in ein Gefängnis begeben haben, dass sie sich selbst geschaffen haben. All die Träume von damals werden mit einem traurigen Unterton durch Realitäten ergänzt und erklärt und zwischen den Zeilen lesen Sie noch immer die Sehnsucht von damals. Auch bei ihren aktuellen Eintragungen. Die Sehnsucht nach der Schönheit des Lebens ist überall in diesem Park zu spüren. Deshalb trägt der Park auch den Namen „Der Felsen der Sehnsüchte“.
Eine Stadt erwacht…
Was können wir nun aus all diesen Gedanken für unser eigenes Leben lernen?
Einer meiner Mentoren hat einmal zu mir gesagt, als ich mich gerade mal wieder über eine unwichtige Kleinigkeit aufgeregt habe: „Letztlich sind wir doch nicht mehr als ein Furz im Universum. Deshalb sollten wir uns alle nicht so wichtig nehmen.“
Und gleichzeitig gab er mir den Film „Ist das Leben nicht schön?“ mit James Stewart und Donna Reed in den Hauptrollen, den ich mir anschauen sollte um darüber nachzudenken, was er gesagt hat. Es handelt sich um einen alten Schwarzweiß – Film, der seit diesem Tag zu meinen absoluten Lieblingsfilmen gehört und der mir immer wieder hilft, mein Leben in der richtigen Relation zur Schönheit des Lebens zu sehen. Falls Sie den Film nicht kennen, so sollten Sie ihn sich auf jeden Fall anschauen.
Es ist wichtig für unsere eigene Entwicklung, unsere Gefängniszelle zu verlassen und zu verstehen, dass wir frei sind. Frei in unseren Gedanken. Frei in unserem Handeln. Frei in unserem Leben.
Gestatten Sie mir eine Frage und damit verbunden eine kleine Übung, um Ihnen zu verdeutlichen was ich meine. Okay?
Zuerst möchte ich Sie dazu einladen, sich einmal in folgenden Gedanken hinein zu versetzen. Es ist kein angenehmer Gedanke, aber er wird Ihnen helfen, ihre normalen Denkgewohnheiten für einen Moment zu verlassen. Einverstanden?
Gut.
Stellen Sie sich einmal vor, Ihr Arzt untersucht Sie und eröffnet Ihnen, dass Sie nur noch 6 – 12 Monate zu leben haben.
Ich weiß, kein angenehmer Gedanke – aber lassen Sie sich für einen Augenblick in diesen Gedanken tief hineinfallen, damit Sie die anschließende Übung machen können. Also noch einmal.
Stellen Sie sich einmal vor, Ihr Arzt untersucht Sie und eröffnet Ihnen, dass Sie nur noch 6 – 12 Monate zu leben haben.
Und nun die Übung: was würden Sie in der Ihnen verbleibenden Lebenszeit alles tun? Schreiben Sie einmal jetzt alles auf, was Ihnen in den Sinn kommt.
Was würden Sie tun? Wen würden Sie treffen? Wohin würden Sie reisen? Mit wem würden Sie sich aussprechen oder versöhnen? Wem würden Sie verzeihen? Bei wem würden Sie sich bedanken? Was würden Sie noch tun in der verbleibenden Zeit?
Schreiben Sie alles auf, was Ihnen einfällt oder in den Sinn kommt.
Ein Lied, das all die Sehnsüchte an das Leben widerspiegelt und gleichzeitig das Gefängnis unseres Lebens aufzeigt, ist das Lied von Udo Jürgens mit dem Titel „Ich war noch niemals in New York“. Vielleicht lauschen Sie den Zeilen, während Sie aufschreiben, was Sie in der verbleibenden Zeit tun würden..
Haben Sie alles aufgeschrieben?
Dann betrachten Sie nun einmal Ihre Aufzeichnungen. Was stehen da für Dinge?
Sind es Dinge, die unmöglich zu tun sind für Sie?
Gestatten Sie mir nun, dass ich diese Frage der Woche mit der Auflösung der Übung in Form einer Frage Schließe. Und die Auflösung lautet:
Wenn Sie all Ihre Aufzeichnungen betrachten, weshalb wollen Sie damit warten, bis Sie nur noch 6 bis 12 Monate zu leben haben? Wie können Sie jetzt sofort damit beginnen?
Schauen Sie sich jeden einzelnen Punkt an und fragen Sie sich, wie Sie jeden einzelnen Punkt in den nächsten 6 bis 12 Monaten umsetzen können. Brechen Sie jetzt aus Ihrem Lebensgefängnis aus.
Eine Stadt erwacht…erweitern Sie Ihr Sichtfeld, legen Sie die Scheuklappen ab, um die Schönheit des Lebens zu sehen….eine Stadt erwacht…..und dies ist Ihr persönlicher Weckruf!
Ihr Coach
Nuno F. Assis